Text zum Symposion: Material aus der Landschaft – Kunst in die Landschaft

Jahr 1977
Titel Material aus der Landschaft – Kunst in die Landschaft
Künstler Victoria Bell / HAWOLI / Hans-Joachim Kempel / Leo Kornbrust / Jan Meyer-Rogge / Christiane Möbus / Karina Raeck / Janet Reichhold / Werner Reichhold / Gary Rieveschl / Manfred Saul / Rainer Selg / Rainer Tappeser / Timm Ulrichs / Hannsjörg Voth
Autor Jürgen Weichardt

I

Im Augenblick, als die Kultur den höchsten Grad der Geziertheit und damit den weitesten Abstand zur Natur erreicht hatte — im Rokokko –, deutete Goethe in einem Sonett (»Natur und Kunst«) die Wende und zukünftige Entwicklung der Kultur an — in Richtung auf die Natur. Darunter ist freilich zu verschiedenen Zeiten Differentes verstanden worden: Rousseaus früheres »Zurück zur Natur« meinte Lebensbedingungen und Erziehungsformen; der Realismus des 19. Jhd. zielte auf das Sichtbarmachen des Geistigen in der immer noch künstlerisch erfaßten äußerlichen Natur; der Naturalismus bemühte sich um eine adäquate Darstellung der Natur und primär ihrer humanen Schattenseiten; der Impressionismus verstand sich als Krönung des Realismus, weil er die Erscheinungen der äußeren Natur und des Menschen in einem Augenblick zu konzentrieren suchte.

II

Die Stilrichtungen des 20. Jahrhundert haben bis in die sechziger Jahre aus manchen — hier nicht zu erörternden — Gründen wenig zu diesem Problem beigetragen, obwohl oder weil es staatlich verordnete »Zurück zur Natur«-Bewegungen gegeben hat. (Jugendbewegung, Eigenheim-Mode, Gartenbau-Ausstellungen). Die grundlegenden Ansätze für die in den letzten Ausstellungen der Galerie Falazik deutlich gewordenen Beziehungen von Kunst und Natur sind in der land art — concept art zu sehen, in den in die neue Landschaftskunst eingeflossenen Umweltschutz — Naturschutz — Ideen und vor allem in der aus der »objet-trouvé-Tradition« entwickelten neuen Bewußtheit gegenüber dem Wert aus der Natur unmittelbar stammender Formen für artifizielle Aussagen. Dabei ist im Nachherein eine deutliche Abfolge zu erkennen: In der »Kunst — Dorf«-Ausstellung ging es im wesentlichen um die Konfrontation der Einwohner der Gemeinde mit aktuellen Kunstformen; im deutsch-französischen Symposion wurden Erscheinungen des Lebens in der Gemeinde und ihrer Umgebung erneut mit Hilfe der damals aktuellsten Mittel der Kunst, den Medien, aufgespürt und sichtbar gemacht. In Ansätzen tauchten dabei individuelle Sichtweisen auf, die in der letzten Ausstellung — »Plätze der Macht« dann im Zentrum standen. In der Wahl der Mittel wurde damals ein ganz klarer Schnitt vollzogen: Nun dominierten die Werke mit Materialien der Natur, freilich eingebunden in eine mythologische Gespanntheit, die von außen, vom Rezipienten nur schwer aufzuschlüsseln war.

III

In diesem Jahr stehen die Materialien der Landschaft und des bäuerlichen Lebens noch stärker, praktisch uneingeschränkt im Mittelpunkt der künstlerischen Praxis. Ziel war, Werke zu schaffen, die materialbedingt zwar nicht zeitlich dauerhaft, dafür in kurzer Zeit aber konzentriert die Gegebenheiten der Landschaft vielfältig aufnehmen, spiegeln und den artifiziellen Konzeptionen entsprechend realisieren sollten. Nur bedingt konnten Vorstellungen, die von der Landschaft unabhängig gefaßt worden waren, konkretisiert werden. Die speziellen Anforderungen dieser Landschaft und des bäuerlichen alltäglichen Ästhetikbedürfnisses waren Konkurrenzphänomene, die erst vor Ort erfahren und eingeschätzt werden konnten. Diese Kenntnis hat den Teilnehmern des Symposions und der Ausstellung auch bewußt gemacht, daß es längst Beziehungen zwischen den Einwohnern und ihrem Land gegeben hat.

IV

Die Ergebnisse des Symposions lassen sich in sechs Gruppen einteilen, die sich ganz vordergründig nach dem Material ergeben haben: Holz, Sand, Tuch, Gerät, Lifeforms, anderes.
Davon ist die Gruppe der Holzarbeiten die größte; über die Bedeutung dieses Materials für die Landschaft ist nicht zu reden; zu ihr gehören die Arbeiten von Bell, HAWOLI, Meyer-Rogge, Selg und Tappeser. Es spricht für die Qualität der Veranstaltung, daß keines der Beispiele mit einem anderen über diese Materialbeschaffenheit hinaus vergleichbar ist. Jede Lösung steht für sich allein.

V

Victoria Bell fügt grob bearbeitete Holzstämme von Gewicht und Volumen zusammen und entwickelt dabei architektonische Baukörper — Gehäuse, Mühlen, die über den rein assoziativen Reiz hinaus durchaus die Beziehung zu einem realen Baukörper erkennen lassen. Die Stämme werden nicht nur aneinandergelehnt, sondern auch ineinander verschränkt. So entstehen feste bauliche Gefüge mit deutlicher Basis und nachvollziehbarer Tektonik. V. Bell spielt auf die Schlichtheit des ursprünglichen Bauens an; ihre nur wenig geglätteten Baumschäfte unterstreichen diesen Zug der Naturbezogenheit. Es liegt nicht fern, hier eine Anspielung auf das Unbehaustsein des Menschen zu sehen; doch weist V. Bell mit ihren raumumspannenden, volumenumfassenden, exakt geschichteten Bauwerken auf die einfachsten Möglichkeiten des Behaustseins hin: Natur und Kunst können gleichermaßen dem Menschen Halt geben. Die Anspielung geht über das einzelne Werk hinaus ins Grundsätzliche.

Vl

HAWOLI biegt Bäume und gibt vor, sie so in der Natur gefunden zu haben. In einem handwerklichen und äußerst langwierigen Prozeß werden die Baumstämme einer Veränderung unterworfen und die Folgen dann verdeckt. Die herbeigeführte Situation des Holzes wird einer Wegbiegung angepaßt, so daß Parallelen entstehen. Im Kern geht es HAWOLI um die Frage: Was ist Wirklichkeit? Der in vielen seiner Arbeiten eingebaute Überrasschungseffekt ist hier möglichst klein gehalten; das scheinbar Unauffällige soll die höchst mögliche Annäherung an Formen ländlich-forstlicher Wirklichkeit erreichen und erst bei näherem Hinsehen als Kunstprodukt aufgedeckt werden. Ein Beitrag, der — weil er nicht ortsgebunden ist — überall auftauchen kann und in jedem Fall dazu auffordert, genau hinzusehen: Die ausgelöste Identitätsproblematik besagt, daß auch die angeblich simple Realität ihre komplizierten Erscheinungsformen besitzt.

VII

Ablauf und Reihungen in verschiedenen Materialien, zuletzt auch in Holz, sind die Grundthemen von Jan Meyer-Rogge bisher gewesen. Sein großes Birkenobjekt enthält diese formalen Probleme, ist darüber hinaus aber auch Kanon-Erweiterung für den Künstler. Aufgebaut auf einer dreieckigen weiten Landfläche besteht dieses Objekt aus einer berechneten Zahl von dreiseitigen Pyramiden, die sich — so ist auch der Bauprozeß verlaufen — am Ende zu einer drei- und gleichseitigen, mehreren Etagen hohen Pyramide zusammenschließen. Was als starres stereometrisches Motiv geplant worden ist, erweist sich nach der Realisierung als abwechslungsreiches, lebendiges Zeichen, das seine Bewegungen aus der Unregelmäßigkeit der Birkenstämme gewinnt, zuletzt aber auch von einem von der Spitze nach innen hängenden leicht pendelnden Baumstamm, der die Struktur zu stören hat. Darüber hinaus verlangt das Objekt ein Zeichen, das sich gegen die Landschaft, vor allem gegen die verschiedenen Horizont-Linien behauptet, nach dem Umgehen, denn nur in diesem Vorgang öffnet es seine ganze Vielgliederigkeit. Ein überzeugendes Beispiel der Symbiose von Konstruktion, einsehbar gemacht, und Natur.

VIII

Assemblagen sind die figurativen Objekte von Rainer Selg. Sie sind zusammengesetzt und montiert aus verschiedenen, am Ort gefundenen Stücken, ausgewählt nach dem Gesichtspunkt, ob ihre zumeist zwar bearbeitete, präfabrizierte Form zu einer figurativen Komposition beitragen kann. Entstanden sind auf diese Weise wuchtige, aufragende Gestalten, die Kraft und Konsistenz aus der Konstellation ihrer einzelnen Elemente gewinnen. Dazu kommt ein differenzierter Farbreiz, der von den verschiedenen Materialien — nicht nur Holzformen, sondern auch rostigen Eisen — herrührt. Am stärksten werden diese Arbeiten von der Ambivalenz bestimmt, die zwischen dem Wiedererkennen einzelner Bauelemente und der mehrdeutigen Gesamtkomposition und ihrer funktionalen Details besteht. Diese Spannung, die auch die Frage nach dem Produktionsprozeß miteinschließt, findet in den verschiedenen Figurationen eine immer abgewandelte Wahrung.

IX

Scheinbar im Kontrast zur Natur stehen die Objekte von Rainer Tappeser. In einem Fall begegnet er wallartig zusammengeschobenen Wurzelstöcken — bleibendes und landschaftsbestimmendes Mal der Sturmkatastrophe von 1972 — mit einer Figur aus vier Balken, dem Inneren von Baumstämmen also, das normalerweise in der Natur ebenso nicht sichtbar ist wie die Wurzeln; daß die an dieser Stelle unter zweckdienlichen Gesichtspunkten sinnlosen »Balken« auch noch mit rötlichen Holzschutzmittel behandelt sind, weist zusätzlich auf das Paradoxe der Situation hin und setzt dem Grün der lebenden Vegetation eine komplementäre Erscheinung entgegen. Die zweite Arbeit zeigt eine lockere Struktur von senkrecht im Wasser stehenden Hölzern, kurzen Stücken von Baumstämmen, die zu den vier Himmelsrichtungen leicht besäumt sind und auf diesen Schnittflächen vier Farben tragen. Der Hell-Dunkel-Ablauf auf Baumstämmen in der Natur wird farbig ausgelegt und führt zur Andeutung eines »Farbwaldes«, dessen Künstlichkeit durch den Standort im Wasser unterstrichen wird. So hat Tappeser mit den Mitteln der Natur Gegensätze zur Natur erzielt. Der zerstörte Wald bietet den gedanklichen Hintergrund für diese Plastik.

X

Manfred Saul kombiniert Sand und Holzkisten. Durch die Öffnung von Holzkisten, die aus dem Transport und dem Verpackungsbetrieb entnommen sind, entsteht imaginärer Raum, der bestimmt ist durch den jeweiligen Öffnungswinkel zwischen Kistendeckel und Kiste. Saul konkretisiert die festen Räume, er füllt sie mit Sand auf, wobei der naturgemäß amorphe Sand in die sich öffnenden, geometrisch streng begrenzten Räume hineinwächst oder herausdringt. Hierdurch entsteht scheinbar ein Widerspruch: Inhalt wird Form, Form wird Inhalt. M. Saul versteht seine Arbeit nicht nur als Raum-Formproblem, sondern als die Darstellung sinnlicher Differenzen, die dadurch entstehen, daß Materialien von widersprüchlicher Konsistenz in Verbindung gebracht werden. Die Heidelandschaft ist in hohem Maße durch Holz (Wald) und Sand bestimmt. Zu dieser Landschaft und Natur tritt die Spannung von fester und beweglicher Form, von Hart und Weich, von Innen und Außen, von materialbedingten Aspekten, zu denen die räumliche Akzentuierung in der Landschaft selbst — etwa durch den Übergang der Kunstform in die Naturform hinzukommt.

XI

Das Gerät, das der Bauer benutzt hat, seine Arbeit zu tun, das dann durch Zeit und Widerstand der Natur zerstört worden ist, wird zum Material für Werner Reichhold. Hauptelement ist dabei ein Bohrinstrument — Hinweis auf die Notwendigkeit des Wassers für diesen trockenen Landstrich und für die erfolgreiche landwirtschaftliche Arbeit überhaupt –; ihm sind andere Geräteteile so zugeordnet worden, daß scheinbar ein neues entstanden ist. Zu dieser Assemblage gehört auch die Plazierung auf hartem Stein, der den erfolgreichen Widerstand darstellt. Natürlich dient Werner Reichholds Objekt der Aufgabe, Arbeit, Werkzeug und Schwierigkeiten bäuerlichen Lebens bewußt zu machen. Und gerade seinem »Gerät« stehen die bäuerlichen in ihrer konfektionellen Modernität antiästhetisch gegenüber. Darum das Zeichenhafte, das auch in diesem Falle über sich hinausweist und auf eine Komplexität anspielt, die sowohl bäuerliches Formgefühl wie ländliches Tagwerk und seine widerstrebenden Schwierigkeiten umfaßt.

XII

Die Assoziation einer Hängebrücke geht von der Arbeit Janet Reichholds aus, deren Material aus Holzbrettern, Tauen, einem Heidschnuckenfell besteht und das zwischen mehrere Meter voneinander entfernten Bäumen gespannt ist. Die funktionale Beziehung, die manche anderen Arbeiten bestimmt, tritt hier zu Gunsten des Ungewöhnlichen und Überraschenden zurück. Die natürlichen beziehungsweise bäuerlichen Materialien sind völlig aus ihrem Zusammenhang gelöst worden und ergeben eine eigene, sich im Winde leicht bewegende Komposition, die zudem einen spezifischen Reiz auch aus dem wandernden Licht der Sonne empfängt. Zum Charakter dieser Arbeit zählt ihre fast unauffällige und zugleich doch spannungsvolle Einfügung in ein Naturensemble, zu dem nicht nur die beiden tragenden Bäume, sondern auch das weitere Umfeld mit Bauernhaus und Teich zählen. So entstehen auch hier Kontraste zwischen Gebautem und Gewachsenem, wobei im Grunde dem letzten der erste Platz eingeräumt wird.

XIII

Schließlich wird das Gewachsene selbst Inhalt einzelner Werke, die Gary Rieveschl mit dem Kennwort »Lifeforms« bezeichnet hat. Dieser Begriff darf — mit Einschränkung — auch auf die Arbeit von Karina Raeck übertragen werden. Lifeforms — das ist Umgang und Einsatz von Lebendem, zum Beispiel Pflanzen. Sie sind integraler Bestandteil der aus dem Bereich des Objekthaften herausgewachsenen land-art-Environment, zu denen der größere Raum der Ödlandlichtung beziehungsweise des Laubwaldes unabdingbar gehört.

In Karina Raecks Buchenwaldraum wurde eine vom letzten Sturm ausgehobene Flachwurzel aufgebaut, die von einem mit Moos-, Gras- und Unkrautsoden bepflanzten Innenraum und Wall umgeben ist. Hier verbinden sich mehrere Motive: das der Veränderung von Wachstum, das der Pflege für das Wachstum, das des beherbergenden Aufenthalts, das der Zeit als Längsschnitt der Veränderung, das der Meditation. Sie stehen über allen visuell-ästhetischen Reizen, die allein schon ausreichen würden, die Vielfalt dieser Arbeit aufzuzeigen. Aber die genannten Motive im Hintergrund erweitern diesen Reiz, so daß Karina Raecks Raum ein Ort der Konzentration, der Kraft und der Besinnung wird, nicht zuletzt über die Fähigkeit des Künstlers gegenüber der scheinbar unsterblichen Natur.

XIV

Gary Rieveschl prägt Landschaft. Seine land-art-Komposition ist so groß, daß ihre Beziehung zur ursprünglichen Landschaft nur aus der Vogelperspektive oder in der Vorstellung vollständig erfaßt werden kann. Der Rezipient erfährt einen langen spiralförmigen Erdwall, der mit Grassoden und jungen Birken bewachsen ist und sich auf diese Weise der Natur wieder anpaßt, aus der er durch seine eher archäologische als natürliche Form herausgetreten ist. Auch hier wird ein Ort der Stille und Meditation aufgebaut. zur Arbeit von Rieveschl

XV

Zu den charakteristischen Elementen der Lüneburger Heide gehören die Steine, die hier eine ganz andere Wertigkeit haben als die Felsen in den Alpen, eben weil sie in isolierter Form größere Ausstrahlungskraft besitzen und zugleich Urgeschichte und damit Zeit in Erinnerung bringen. Mögen die Künstler, die den Stein in die Mitte ihrer Arbeit gestellt haben, auch diese norddeutsche Stein-Dimension nicht bewußt eingesetzt haben — sie bleibt unabdingbarer Bestandteil.
Für Leo Kornbrust sind Steine Material zur Formung eines Platzes, der wegen seiner Lage zwischen Bäumen und Gedenkstätte bisher keine Beachtung gefunden hat. Das Unauffällige zu akzentuieren, ist eine Grundtendenz der Arbeit von Kornbrust. Dabei folgt er der vorgegebenen Form dieses Platzes — im Neuenkirchener Fall — einem spitzen Dreieck. Diese Fläche wird mit Steinen ausgelegt, wobei eben die vorgegebene Form erhalten bleiben soll. Aber auch die Steine werden von Kornbrust nicht bearbeitet; sie behalten ihre ursprüngliche oder vor langer Zeit geschaffene Form, wobei der Autor natürlich eine solche Auswahl trifft, daß die Steine zueinander passen. Vor allem soll die Oberfläche der entstehenden Steinkomposition eben sein oder nur ganz deutliche Akzente tragen, die gesehen und gefühlt — empfunden werden können. zur Arbeit von Kornbrust

XVI

Timm Ulrichs hat einen Steinkreis aufgehäuft, den er »egozentrisch« nennt: Von der Mitte eines Platzes aus hat er die aus der Umgebung des Ortes zusammengelesenen Steine unterschiedlicher Größe nach außen geworfen, jeweils mit ganzem Körpereinsatz. Die Position der Steine resultiert also aus ihrem eigenen Gewicht und der Kraft der Würfe. Zu Mitte des Steinwalls hin konzentrieren sich demnach die schweren Steine, außen liegen die kleinen, die fast unmerklich die Arbeit in die umgebende Landschaft übergehen lassen sollen. Zur Mitte des Platzes führt ein Zugang von der Breite der Körperlänge des Künstlers, wie auch das steinfreie Platzzentrum von der Körpergröße Timm Ulrichs bestimmt ist. »Man mag diese Arbeit sehen als persönliche >Landnahme< ebenso aber als >Ort der Kraft< im Sinne der letztjährige Sommerausstellung.« zur Arbeit von Ulrichs

XVII

Hannsjörg Voths Titel »Steine leben ewig« ist weniger optimistisch, als er klingt. Unüberhörbar ist die Anspielung auf die Zerstörung seiner Pfahlstätte im letzten Sommer. Voth braucht für seine Kompositionen Orte, die bereits für sich eine Ausstrahlung besitzen — freie Gipfelräume, weite offene Felder –; so hat er das kleine Plateau »Windberg«, das als eine der schönsten Stellen in der Lüneburger Heide gilt, für seine Arbeit ausgewählt. Diese besteht aus einem großen Tuch und darauf gelagert einem vier Tonnen schweren Stein, der schon an anderer Stelle auf dem Windberg lag. Das 400 qm große Tuch, das den Erdboden mit allen seinen Bewegungen einebnet, ist an seinen Rändern eingegraben worden — ein Formmotiv, das Voth in Parallele zu seinen »Verschnürungen« sieht. Der Stein ist zentral auf dieses weiße Tuch plaziert worden. Seine Größe, Schwere und sein Volumen gewinnen an Gewicht durch die Isolierung; und es entsteht eine Spannung zwischen Fläche, Form und Raum, der die Landschaft mit einschließt. Aus dieser Konstellation eben gewinnen die Kompositionen von Hannsjörg Voth jene Intensität, die aus der Realität die Objekte ins Magische hinüberhebt.

XVIII

Integration und äußerste Reduktion von differenten Erscheinungsweisen in der Natur sind die Kerngedanken der Arbeiten, die Christiane Möbus für die Ausstellung geschaffen hat. Ihre Materialien sind ein Findling und Ort in der Landschaft, der ohne jeden Aufwand äußerste Stille, strengste Ruhe besitzt. Findling und Ort können zueinander gebracht werden. Dann wird der Stein als Zeichen der Beständigkeit, aber auch der Besonderheit an diesem stillen Platz behauen. Eine Linie fährt — faktisch wie auch nur konzeptionell — um ihn herum und durch die landschaftliche Form, in der er ruht. Diese Linie schafft die Verbindung der differenten Bereiche, sie führt die Integration herbei. Auch die Arbeit in der Galerie-Ausstellung enthält diese Kombination von Linie und Stein, auch hier verbindet die über eine Wand und einen Sockel auf einen Stein zustrebende Linie die Elemente der Komposition und deutet die größere Einheit an, auf die Christiane Möbus anspielt: Die dialektische Einheit aller Gegensätze in der Natur. zur Arbeit von Möbus

XIX

Hans-Joachim Kempel geht von einer anderen Einheitsvorstellung aus: Von der Undifferenziertheit, mit der Menschen die Natur betrachten. Zwei, in ihrer Konsistenz unterschiedliche Elemente werden ausgewählt: Ein Baum und ein Stein, beide werden mit einem Seil verbunden. Dieses stellt im wahrsten Sinne des Wortes eine Spannung zwischen beiden Formen her; es wird so angezogen, daß der Baum im Wipfel leicht geneigt ist. Für dieses Seil verwendet H. J. Kempel auch ein natürliches, kein synthetisches Material: Hanf. Dieses gespannte Seil schafft eine Fülle von Beziehungen: Es teilt den Raum, es verbindet Stein und Baum, aber es trennt links und rechts. Es macht die Höhe des Baumes bewußt, dann wenn der Blick dem Seil aus verschiedenen Perspektiven folgt. Es verdeutlicht Kraftverhältnisse: die Kraft des Steins, der das Seil gespannt hält; die des Baumes, der sich gegen diese Spannung, die ihn zwingt, zur Wehr setzt. Schließlich entsteht im Bewußtsein des Künstlers und des Betrachters rund um Stein und Baum ein separater Raum, in den alle diese Beziehungen ausstrahlen. Nicht nur visuell, sondern auch von der intellektuellen Aufschlüsselung der verschiedenen Relationen erfährt ein bis dahin wenig erscheinender Naturraum eine Mensch und Natur umfassende Akzentuierung und Bestimmung.

XX

Schlußwort: Die in der Landschaft rund um Neuenkirchen aufgestellten Arbeiten sind nicht nur in ihrer visuellen und assoziativen Erscheinung zu sehen, sondern auch als Ergebnisse eines Arbeitsprozesses. Diesem ging eine lange Denkphase voraus, in der es um die bestmögliche Konzeption der thematisch von der Galerie gestellten Aufgabe »Material aus der Landschaft — Kunst in die Landschaft« ging. Es ist kein Geheimnis, daß zu dieser Konzeption auch der soziale Aspekt der finanziellen Machbarkeit für eine private Galerie gehört. Zweiter Teil des in die Arbeit einzubeziehenden Prozesses ist die Arbeit selbst, die Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg, die von der Bevölkerung beobachtet werden konnte. Hier war Einblick in die Struktur künstlerischer Arbeit möglich. Daß diese rein visuell und kräftemäßig nicht so sehr verschieden ist von der Arbeit auf dem Lande, hat den Künstlern allgemein Sympathie verschafft. Kurz: Künstlerische Arbeit ist hier normale Arbeit als Realisierungsprozeß eines phantasiereichen, sowohl Intellekt wie Emotion umfassenden einmaligen Gedankens.