Michael Fehr – Gegen-Steine

Jahr 1982
Titel Gegen-Steine
Künstler Nikolaus Gerhart / HAWOLI
Autor Michael Fehr

I

Autoren gelungener Initiativen bleibt zumindest, schon während andere sie gerade begreifen, übernehmen oder unter womöglich günstigeren Bedingungen breittreten, erkennen zu können, daß sie weiterentwickelt werden müssen, sollen sie ihre Kraft und Bedeutung behalten. Autoren gelungener Initiativen bleibt daher kaum eine Wahl. Halten sie an ihrer Idee fest, müssen sie Initiatoren bleiben — und sich zumeist auch weiterhin mit dem harten Brot der Pioniere bescheiden.

Jene, die als Mitglieder des neu gegründeten Kunstvereins Springhornhof Neuenkirchen nun die langjährige Initiative von Ruth Falazik unterstützen, haben dies wohl verstanden. Doch sind es noch viel zu wenige. Und wären es auch Viele mehr: Das eigentliche, das inhaltliche Problem, vor dem Ruth Falazik, die eingeladenen Künstler und sonstigen Mitstreiter bei jeder Sommerausstellung stehen, wäre damit noch nicht gelöst. Denn eben weil man in Neuenkirchen auf eine bereits zehnjährige erfolgreiche — und andernorts nachgeahmte Tätigkeit zurückblicken kann, gibt es kein Ausruhen, sondern bleibt es von Jahr zu Jahr die schwierigere Aufgabe, über die Reflexion des schon Geleisteten nicht den Mut und die Spontaneität zu verlieren, weiter am Konzept »Kunst — Landschaft« zu arbeiten.

Die Schwierigkeit dieser Aufgabe resultiert zu einem guten Teil sicherlich daraus, daß mittlerweile — und in den letzten Jahren nicht nur in Neuenkirchen — innerhalb des Konzepts »Kunst — Landschaft« die verschiedensten künstlerischen Positionen erarbeitet wurden. Allerdings erzeugt nicht die bloße Vielzahl dieser Arbeiten das Problem. Wichtig ist allein die Tatsache, daß sich mit jeder Arbeit, die in Neuenkirchen oder anderswo entstand, das Reflexionsniveau im Hinblick auf das Verhältnis von Kunst und Landschaft erhöhte: Konnte man vor wenigen Jahren allein im Umstand, daß Künstler sich aus dem Atelier in die Heidelandschaft begaben, um dort an bestimmten Plätzen mit vorgefundenen Materialien zu arbeiten, zu Recht einen wesentlichen Schritt im Sinne der Differenzierung und Aktualisierung künstlerischer Arbeitsweisen erblicken; so ist der Springhornhof in Neuenkirchen heute der Ort, an dem als Konsequenz dieser Erfahrung diskutiert wird, ob und inwieweit künstlerisches Arbeiten in und mit der Landschaft überhaupt möglich ist. Und hätte sich schon früher kein Künstler getraut, einfach nur eine Atelierproduktion in die Landschaft zu stellen, so ist doch unübersehbar, daß während der letzten Jahre die künstlerischen Eingriffe in die Landschaft einerseits immer vorsichtiger und differenzierter und andererseits immer genauer und bestimmter wurden.

Diesem Diskussions- und Arbeitsprozeß, der im folgenden anhand nur zweier Stationen skizziert werden kann, eröffnet die diesjährige Sommerausstellung »Gegen-Steine« eine wichtige, neue Perspektive, indem sie die konkrete Kunst in das Konzept »Kunst — Landschaft« einbezieht.

II

Vor vier Jahren, 1978, stand die Sommerausstellung unter dem Titel »Zwei Steine sind nie gleich«. Zwei Steine sind nie gleich, dieser Satz war nicht nur eine Feststellung, sondern skizzierte ein Konzept und eine Aufgabe: Ausgehend von ihren Vorstellungen und Erfahrungen sollten die eingeladenen Künstler in der Landschaft Verschiedenes im Gemeinsamen oder Ähnliches im Unterschiedlichen herausarbeiten. Landschaft war bei dieser Ausstellung mithin mehr Sujet als Thema; dies ergab sich erst aus der jeweiligen Spannung zwischen den in der Landschaft vorgefundenen Strukturen und Situationen und dem, was die Künstler mitbrachten. Entsprechend hatten die Objekte, die in diesem Zusammenhang entstanden, den Charakter von Landschafts-lnterpretationen. Die Landschaft als Landschaft blieb unberührt, doch war in jedem Fall erkennbar, daß bestimmte Individuen ihre subjektive Wahrnehmung gegenüber der jeweils vorgefundenen Situation geltend gemacht hatten.

An jene sehr produktive Unternehmung schloß sich folgerichtig 1979 die Arbeit von Rolf Jörres an, der durch seine »Steinfelder« die Landschaft als bestimmten Zusammenhang von Natur und Geschichte konkretisierte. Notwendig mußte dabei sein künstlerischer Eingriff weniger als subjektives Sich-Geltend-Machen gegenüber der Landschaft erfolgen, denn mehr als Arbeit, die auf die Sichtbarmachung und Objektivierung eines ihrer Aspekte abzielte. Landschaft wurde so nicht von außen, sondern gleichsam von innen her, mit ihren eigenen Mitteln auf ihren Begriff gebracht.

Überzeugten bei der Ausstellung »Zwei Steine sind nie gleich« vor allem jene künstlerischen Arbeiten, bei denen es gelang, aus der Landschaft ein eigenständiges Konzept zu entwickeln und ihr als Objekt gegenüberzustellen, so ist es demgegenüber der Vorzug der »Steinfelder«, daß sie heute schon mehr als Teil der Landschaft und weniger als Kunst in der Landschaft erscheinen.

Die diesjährige Sommerausstellung »Gegen-Steine« faßt diese Erfahrungen zusammen, indem sie von den eingeladenen Künstlern Nikolaus Gerhart und HAWOLI — und von den Betrachtern — verlangt, sich mit einem bestimmten Landschaftselement, und zwar mit einem Stück Natur: mit Steinen auseinanderzusetzen. »Gegen-Steine«, als Thema und methodische Anleitung verstanden, nimmt dabei sowohl die konfrontierend-komparative Strategie der Ausstellung »Zwei Steine sind nie gleich« als auch die affirmative der Ausstellung »Steinfelder« auf und verbindet sie zu einem neuen Anspruch. »Gegen-Steine« meint zwar, wie 1978, die Konfrontation mit Steinen, doch die mit bestimmten Steinen — und schließt insofern deren Affirmation ein. Andererseits meint »Gegen-Steine« im Unterschied zur Ausstellung 1979 nicht nur die Affirmation von Steinen als bestimmten Landschaftselementen — und über sie die Affirmation der Landschaft als diese bestimmte. »Gegen-Steine« postuliert vielmehr, daß Landschaft auch als Widerspruch zwischen Natur und Geschichte, als Widerspruch zwischen Sich-Vollziehen und Eingreifen aufgefaßt werden kann.

Die neue Position, die mit dem Thema »Gegen-Steine« in der Reflexion über das Verhältnis von Kunst und Landschaft erreicht wird, läßt sich mithin fassen als Eingehen auf die »Natur« der Landschaft. Nicht Landschaft als Begriff oder Bild, als Material oder Atelier, als Projektionsfeld oder Bühne ist hier gemeint, sondern Landschaft als vom Menschen zugerichtete Natur und als Natur, die ihrer Kultivierung Widerstand bietet.

Überwunden sind damit zunächst jene harmonistischen Vorstellungen, denen zufolge es ein wie auch immer »befreundetes« Verhältnis zwischen Natur und Mensch — »Landschaft« sein Name — geben könne; stattdessen geht die Position »Gegen-Steine« davon aus, daß der Gegensatz zwischen Natur und Mensch unversöhnlich und Landschaft nur sein schlechter Kompromiß bleibt — den wir Städter allerdings nur zu leicht mit Natur verwechseln. Weiterhin fordert das Thema »Gegen-Steine« dazu auf, den Begriff »Landschaft« überhaupt fallen zu lassen und sie ohne begriffliche Sicherheit: als Eigengesetzlichkeit der Natur und als Eigengesetzlichkeit menschlichen Handelns zu erleben. Schließlich präzisiert das Thema diese Position am Beispiel der Steine als Handeln mit der Natur, also weder als Unterwerfung unter die Natur im Sinne eines mystisch-mythischen Denkens noch als Unterwerfung der Natur im Sinne des instrumentalen Handelns, sondern als praktisches, immer wieder neu zu bestimmendes Interaktionsverhältnis.

Ohne Frage ist ein derart offenes Verhältnis zur Natur in der Natur nur schwer zu gewinnen. Denn selbst da, wo sie zur Landschaft domestiziert wurde, bleibt sie bedrohlich und stellen sich zwangsläufig jene Abwehrreaktionen ein, aus denen sich die übernommenen Formen des Umgangs mit ihr speisen. Gleichwohl bleibt unbestreitbar, daß ein anderes Verhältnis zur Natur entwickelt werden muß – und die Frage, wie dies realisiert werden kann. Eine mögliche Antwort hat, so scheint mir, im Konzept der konkreten Kunst ihr Modell.

III

Das wesentliche Merkmal der konkreten Kunst ist, daß sie nichts darstellt oder bedeutet, was sie nicht auch ist: Weder sind in der konkreten Kunst das Material und dessen Form Vergegenständlichung einer bestimmten »idea«, die das, was das Material und dessen Form faktisch sind, wie auch immer kategorial übersteigt; noch besteht in der konkreten Kunst — allerdings nur in der radikalen — eine prinzipielle Indifferenz im Verhältnis zwischen Form und Material; vielmehr gehen in der radikalen konkreten Kunst Form (ldee) und Material insoweit eine untrennbare Einheit ein, als sich die Form als Eigenschaft des Materials und das Material als Konkretion der Form erweisen. Werke der konkreten Kunst entziehen sich daher der wiedererkennenden, auf der Anwendung von Begriffen beruhenden Wahrnehmung. Denn sie denotieren nichts, was außerhalb ihrer präzisierbar wäre. Werke der konkreten Kunst verlangten stattdessen eine sozusagen begriffslose Reflexion und gewinnen imaginativen Wert in dem Maße, wie es dem Betrachter gelingt, diese — als Erfahrung als solche — immer wieder neu zu realisieren.

IV

Granit ist ein Material, das sehr hart und zugleich spröde ist. Beide Eigenschaften machen es schwer, Granit zu bearbeiten: Die große Härte des Materials zwingt zu hohem Kraftaufwand bei der Bearbeitung, der hohe Kraftaufwand schließt aufgrund der Sprödigkeit des Materials jedoch immer die Gefahr ein, daß das in Angriff genommene Stück bei der Bearbeitung zerbirst.

Die Form der Plastik »Kernschnitt«, einer Atelier-Arbeit von Nikolaus Gerhart aus hellem Granit, läßt von diesen Eigenschaften des Materials nichts erkennen. Sie ist eine ca. 140 cm hohe Stele, die ihrer Länge nach durchbohrt und vom Bohrloch aus zur Mitte einer Seitenfläche durchschnitten ist. Der Durchmesser der Bohrung entspricht mit ca. 4,5 cm etwa der Hälfte einer Seitenkante der Grundfläche der Stele, so daß ihre innere Wandstärke zur Mitte ihrer Seitenfläche hin auf ca. nur 2 cm abnimmt. Bemerkenswert an der ansonsten vollkommen regelmäßig und exakt gearbeiteten Plastik sind allerdings drei irritierende Stellen: ein ca. 3 mm hoher Grat entlang einer ihrer Längskanten und die Bohrlöcher in den Grundflächen, die keine exakten Kanten haben, sondern etwas ausgebrochen sind.

Eine Betrachtung, die auf inhaltliche Bedeutung oder formalästhetischen Reiz aus ist, kann Gerharts Plastik nichts abgewinnen. Denn sie bedeutet offensichtlich nichts und erscheint als Form banal und willkürlich zugleich. Dennoch ist sie erklärungsbedürftig, und zwar deshalb, weil an den bezeichneten drei Stellen die exakte Formgebung nicht durchgehalten ist. Ist man zunächst versucht, jene drei Unregelmäßigkeiten als Ausdruck künstlerischer Subjektivität zu werten, durch die das ansonsten anscheinend austauschbare Stück individuiert wird, so gelingt dies in dem Maße nicht, wie man erkennt, daß es sich bei diesen Stellen nicht um subjektive Setzungen, sondern um regelmäßige Abweichungen von der Grundform, um Arbeitsspuren handelt. Zumindest an den ausgebrochenen Bohrlöchern in den Grundflächen der Stele muß man Arbeitsspuren erkennen, die offenbar bei der Bohrung entstanden.

Mit dieser Erfahrung zeigt sich Gerharts Plastik allerdings in einem anderen Licht. Denn angesichts der ausgebrochenen Bohrlöcher, die deutlich auf die Intensität der Bearbeitung und die Sprödigkeit des Materials verweisen, wird die Form der Arbeit weniger wichtig als die Frage, wie sie überhaupt hergestellt wurde: genauer, wie eine derart weite Bohrung der Stele realisiert werden konnte, ohne daß sie dabei zerplatzte. Angesichts der Arbeitsspuren ergibt sich für die Plastik »Kernschnitt« mithin eine Diskrepanz zwischen den erkennbaren Eigenschaften des Materials und der Form, in die es gebracht ist, beziehungsweise eine Diskrepanz zwischen der Existenz der Plastik als Material in dieser Form und den daraus nicht erschließbaren Bedingungen ihrer Existenz: den Modalitäten ihrer Herstellung. Anhand der Arbeitsspuren läßt sich allerdings erkennen, daß die Herstellung der Plastik höchsten Kraftaufwand erforderte, der — und genau da entzieht sich die Plastik als Form dem Vorgewußten — nur bei entsprechend großen Massen kontrolliert und gezielt, zum Beispiel als Durchbohrung eingesetzt werden kann.

Es ist vor allem diese Diskrepanz, die an der Plastik »Kernschnitt« interessiert: Weil sich in ihr eben kein artistisches Problem manifestiert, sondern — im Gegenteil — sich an ihr als Material ein Produktionsprozeß erkennen lobt, den sie als Form nicht bestätigt, wird sie zum Gegenstand der Imagination. Anlaß für die Imagination kann nicht die äußere Form der Plastik sein, sondern nur die Bohrung. In ihr als unter höchstem Kraftaufwand realisierter Hohlform hat jene nur vorstellbare große Masse Granit ihr Äquivalent, die Voraussetzung für ihre Realisierung war: Indem sie vorgestellt wird, wird der Kraftaufwand vorstellbar, der zur Herstellung der Bohrung notwendig war. Gleichsam als materieller Ansatzpunkt und Bestätigung für diese Imagination fungiert der schmale Grat entlang einer der Seitenkanten der Stele. Er ist ebenfalls eine Arbeitsspur und weist als solche darauf hin, daß die Plastik nicht aus einem größeren Stück gehauen, sondern ausgehend von der Bohrung als Hohlform mittels eines Seiles ausgesägt wurde.

Besteht die für den Beschauer nicht auflösbare Diskrepanz der Plastik »Kernschnitt« darin, daß sie als Material einen Produktionsprozeß erkennen lobt, den sie als Form nicht bestätigt, so ist in HAWOLIs Plastik »Walze II«, ebenfalls in diesem Jahr entstanden, eine Diskrepanz thematisch, die auf der Umkehrung dieses Verhältnisses beruht: sie legt als Form einen Produktionsprozeß fest, den sie als Material nicht bestätigt. HAWOLIs Plastik »Walze II« besteht aus einer ellipsenförmigen, leicht konkaven und in der Mitte der Krümmung glattgeschliffenen Granitplatte (ca. 200 x 118 x 20 cm), auf der sich ein ca. 20 cm dickes, die Breite der Platte eben überragendes Rundeisen bewegen läßt; stößt man das Rundeisen an, so rollt es im glatten und konkaven Plattenteil hin und her und kommt in der Plattenmitte, am tiefsten Punkt der Krümmung zur Ruhe. Die Plastik »Walze II« stellt mithin nicht nur als Form einen Funktionszusammenhang zwischen zwei Materialien, dem Rundeisen und der Granitplatte, vor Augen, sondern läßt ihn — gleichsam als Beweis für die Form — auch als Aktionsverhältnis erfahren. Daß man dennoch nicht glaubt, was man sieht, ist das, was an dieser Plastik interessiert.

Unglaubwürdig an dieser Plastik sind nicht der Stein, das Rundeisen oder gar der Funktionszusammenhang, in dem diese beiden Materialien miteinander stehen — wer wollte schon abstreiten, daß sich eine solche Konstellation ergeben kann. Unglaubwürdig ist die Plastik vielmehr allein als diese bestimmte Konstellation, als Auswirkung eines Funktionszusammenhangs von Materialien, deren Form vorgibt, nur so und nicht anders bestehen zu können. Anders gesagt: Die Plastik »Walze II« gibt Anlaß zu Zweifeln nicht, weil sie eine unwahrscheinliche Auswirkung von Materialien aufeinander vorstellt, sondern weil ihre Form jeden Zweifel über die Auswirkung der Materialien aufeinander ausschließt: Die Plastik ist zwar die Realisation der Vorstellung, daß Eisen unter bestimmten Bedingungen auch ein so hartes Material wie Granit verformen kann, in Eisen und Granit, doch nicht durch Eisen und Granit, und läßt daher keine Diskrepanz zwischen dem, was man weiß, und dem, was man sieht, aufkommen. Eben dies, daß bei HAWOLIs »Walze II« Vorstellung und ihre Konkretion gewissermaßen in eins fallen und damit für die konkrete Erfahrung kein Platz bleibt, löst jene Irritation aus, die sich beim Betrachter einstellt: Indem sie seine Vorstellung über den Wirkungszusammenhang von bestimmten Materialien unter Ausschaltung der konkreten Erfahrung, sozusagen »rein« inszeniert, stellt sie sie in Frage.

V

Mit den vorstehenden Äußerungen, die anhand jeweils einer Arbeit die unterschiedlichen Interessen und Erfahrungen von Nikolaus Gerhart und HAWOLI anzudeuten versuchten, mag deutlich geworden sein, daß von ihnen unterschiedliche Ansätze im Umgang mit dem Thema »Gegen-Steine« zu erwarten sind. Für beide Künstler stellt sich allerdings als gleiches Problem, ihre im Atelier gewonnenen Erfahrungen mit der Natur der Steine in die landschaftliche Dimension und die Landschaft zu übertragen.

Nikolaus Gerhart realisierte seine Arbeit »Einschnitt« an einer Straße, die eine relativ weite Ebene zwischen Neuenkirchen und Brochdorf zerteilt: Entlang der Straße baute er eine ca. 45 Meter lange »Mauer« aus Findlingen auf, der er einen ca. 2 cm breiten und ebenso langen Einschnitt in den Asphalt der Straße konfrontierte, und zwar so, daß Straße, Findlingsmauer und Einschnitt in die Straße exakt parallel zueinander verlaufen und überdies der Abstand zwischen der Mauer und dem Einschnitt der Straßenbreite entspricht, der Einschnitt in die Straße also nicht in ihrer Mitte verläuft.

Eine Mauer entlang einer Straße, sei sie aus Findlingen, Ziegeln oder Beton gebaut, hat, das ist eine Alltagserfahrung, auf die Straße und die, die sie benutzen, in der Regel keinerlei bedrohliche Wirkung: sie trennt den Straßenraum von den angrenzenden Gründen und schafft, das ist wohl ihre Hauptfunktion, Ordnung. Von Gerharts »Mauer« aus Findlingen ließe sich kaum mehr sagen, wäre sie nicht von jenem Einschnitt in die Straße begleitet und konfrontiert, der sie in Form und Verlauf in den Raum überträgt, der von ihr ausgegrenzt wird: Als Straßenbenutzer kommt man nicht umhin, die Parallelität zwischen der Steinreihe und dem Einschnitt in die Straße wahrzunehmen und sich zu ihr zu verhalten; sei es, daß man die andere Straßenseite benutzt und außerhalb der Parallelisierung sich ihr konfrontiert fühlt; sei es, daß man zwischen Einschnitt und Steinreihe geht und ihre Parallelität empfindend sich aus der Straßensituation ausgegrenzt fühlt; sei es, daß man die Arbeit aus der Distanz wahrnimmt; wie auch immer, die »Mauer« aus Findlingen und der Einschnitt in die Straße markieren einen Einschnitt in die Landschaft, dem man sich nicht entziehen kann.

Es charakterisiert die Arbeitsweise von Nikolous Gerhart, daß sie mit den einfachsten Mitteln auch in der Landschaft sparsam umgeht. Hätte sich in der Gegend um Neuenkirchen eine passende Mauer entlang einer Straße gefunden und wäre es erlaubt gewesen, so hätte sich Gerhart wahrscheinlich mit dem Schnitt in die Straße zufrieden gegeben. Damit sei gesagt: »Gegen-Steine« wird hier zwar als konkretes Verhältnis zu Steinen aufgefaßt, als Verhältnis zu Steinen, die einen im Wortsinne aus der Bahn werfen können, doch zugleich auch als ein allgemeingültiges Verhältnis, das sich beispielsweise konkretisiert, wo man — in dieser Arbeit durch den Einschnitt realisiert und sichtbar gemacht — sich anhand von Steinen orientiert. HAWOLIs Außenarbeit »Walze« ist demgegenüber eine Auseinandersetzung mit bestimmten Steinen in einer bestimmten Situation: Er suchte sich eine besondere landschaftliche Situation in der Nähe von Neuenkirchen aus, ein brachliegendes dreieckiges Feld, das von einem Bach, einem Graben und einem Weg begrenzt wird. An der Basis dieses Dreiecks plazierte er sechs große Findlinge so, daß sie wie aufgerichtete Schilde wirken. Ihnen konfrontiert er ein industrielles, an landwirtschaftliche Maschinen erinnerndes Produkt, eine Walze aus Eisen, die in der Mitte des Feldes liegt. Inszeniert wird damit eine Konfrontation gegen Steine, die je nachdem, welchen Standort der Beschauer einnimmt, unterschiedliche Bedeutung annimmt: Steht man an der Brücke, so erscheint die Arbeit als Konfrontation zwischen Technik und Natur, bei der sich die Gewißheit einstellt, daß die Technik in dieser Auseinandersetzung obsiegen wird; steht man vor den Steinen mit Blick auf die Walze, spürt man zwar die Aggression, die von dem technischen Produkt ausgeht, doch auch die Kraft der Steine und bleibt insoweit offen, ob die Technik in der Tat obsiegen kann. Wie auch immer gesehen: HAWOLIs Arbeit stellt ein sozusagen totes Verhältnis zwischen Natur und Technik vor Augen, gleichsam den Endpunkt eines instrumentalen Umgangs mit der Natur, und fordert damit auf, ein anderes Verhältnis zur Natur zu entwickeln.